Скотобойня Эмси Паркера - Lothar Streblow - Der Fisch
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Lothar Streblow - Der Fisch Personen: Der Mann Der Beamte 1. Wärter 2. Wärter
Ausgezeichnet mit dem Hörspielpreis der ARD für Kurzhörspiele 1972 Produktion: Radio Bremen
Übernahmen und Wiederholungen: Radio Bremen 1972; Deutsche Welle 1972; Bayerischer Rundfunk 1972 und 1979; Saarländischer Rundfunk 1973; Deutschlandfunk 1974; Schweizerische Rundspruch-Gesellschaft 1974; Hessischer Rundfunk 1979.
Hoher nüchterner Raum, metallische Wände, Metalltür; konstantes, deutlich differenziertes Summgeräusch von drei Computern; Stimmung: kalte sterile Atmosphäre, schwa-cher Hall.
(Eine Uhr schlägt zehn. Tür wird geöffnet, zögernde Schritte, Tür fallt metallisch ins Schloß) Mann: (zögernd, aber nicht ängstlich) Guten Morgen. Beamter: (nüchtern) Guten Morgen. Nehmen Sie Platz. Mann: Danke. (Stuhl scharrt) Verzeihung. Vermutlich bin ich hier falsch. Ich sollte vor einer Kommission erschei-nen. Beamter: (kalt) Die Kommission ist anwesend. Mann: (erstaunt) Anwesend? Ich sehe nur Sie! Beamter: Überzeugen Sie sich. (zur Seite) Dort! Mann: (verblüfft) Die Computer? Beamter: Ja. Mann: (unsicher) Darf ich etwas fragen? Beamter: (mit leichter Schärfe) Die Fragen stelle ich. Mann: (einlenkend) Na gut. Hier, meine Personalien... Beamter: (unterbricht) Sind bekannt. Mann: (betroffen) Ohhh... Beamter: (amtlich) Zur Sache: Sie behaupten, einen Fisch gesehen zu haben? Mann: (bestimmt) Ich habe einen Fisch gesehen. Beamter: (mit leicht unterdrücktem Erstaunen) Sie bestrei-ten das nicht? Mann: (unbefangen) Nein. Warum sollte ich? Beamter: Sind Sie sich darüber klar, was das bedeutet? Mann: (überzeugt) Eine Sensation, denke ich. Beamter: Von Ihrem Standpunkt aus vielleicht. Ein Fisch im Jahre 2972! Ein Fisch! Obwohl Fische seit mehr als ei-nem halben Jahrtausend ausgestorben sind! Mann: Das war offenbar ein Irrtum. Beamter: Sie meinen: der Fisch? Mann: Nein. Daß Fische ausgestorben sein sollen, meine ich. Beamter: Aha. Die Tatsachen sehen anders aus: Seit etwa 600 Jahren gibt es auf unserem Planeten keine atembare Atmosphäre mehr. Seit dem Jahre 2204 lebt der Rest der Menschheit unter hermetisch abgeschlossenen Luftglokken. Und seit diesem Zeitpunkt gibt es Leben auf der Erde nur noch innerhalb dieser Luftglocken. Das lernt jedes Kind bereits in der Schule. Mann: Das ist mir bekannt. Aber was beweist das? Beamter: Es beweist, daß Sie keinen Fisch gesehen haben können. Mann: Sofern die eben zitierte Schulweisheit stimmt: ja. Aber stimmt sie wirklich? Beamter: (scharf) Sie zweifeln? Mann: (sicher) Seit ich den Fisch gesehen habe. Beamter: Aha. (lauernd) Und welche Ansicht vertreten Sie jetzt? Mann: Es ist nur eine Vermutung. Und sie stützt sich auf die gleichen Tatsachen, wie die Schulweisheit. Nur: Ich ziehe andere Schlisse daraus. Beamter: Und welche? Mann: Nun: Seit unsere Vorfahren den Mond besiedelten, gewöhnten die Menschen sich daran, unter künstlich errichteten Luftglocken zu leben und darin, alles Notwen-dige selbst zu erzeugen. Als die Erde dann durch die an-dauernde Verseuchung der Luft und des Wassers allmäh-lich immer unbewohnbarer wurde, errichtete man hier die gleichen Luftglocken wie auf dem Mond. Und nicht nur das: Man übernahm auch den Lebensstil und das Verwaltungssystem. Die Erde wurde exakt nach dem Vorbild des Mondes ausgerichtet. Beamter: Richtig. Dadurch wurde die Menschheit vor dem sicheren Untergang gerettet. Fahren Sie fort! Mann: Seitdem sind mehr als 700 Jahre vergangen. Und ich meine: Was für die leblose Wüste des Mondes gilt, wo keine andere Existenzform möglich ist, muß nicht unbe-dingt auch für die Erde gelten. Auf dem Mond hat es au-ßerhalb der Luftglocken nie eine Entwicklung gegeben. Und es wird nie eine geben. Die Erde aber war einmal ein fruchtbarer Planet voller Leben. Hier war Entwicklung. Und es ist nicht auszuschließen, daß die Entwicklung ir-gendwie weitergegangen ist, gerade im Meer und unbe-merkt von den unter Luftglockeu isolierten Menschen. Beamter: (ironisch) Irgendwie? Mann: (lebhaft, den Eindruck überhörend) Oder daß sich neue Entwicklungen angebahnt haben, vielleicht sogar eine gewisse Regeneration von Luft und Wasser. Beamter: (unterbrechend) Luft und Wasser außerhalb der Luftglockeu werden regelmäßig kontrolliert. Die Ergeb-nisse werden veröffentlicht. Ist Ihnen das bekannt? Mann: Natürlich. Aber die Kontrolleure sind einige wenige Experten. Kein Mensch bekommt sie je zu Gesicht. Und veröffentlicht werden die Ergebnisse von der Obersten Verwaltungsbehörde. Beamter: (scharf) Was wollen Sie damit sagen? Mann: Ich will sagen, daß seit Jahrhunderten kein gewöhn-licher Mensch in der Lage ist, sich selbst zu informieren. Beamter: Dazu besteht keine Notwendigkeit. Mann: (erregt) Sagen Sie! Beamter: (zurechtweisend) Ich vertrete die Behörde. (dann gelassen) Außerdem kann jeder, der eine Schutzgarnitur besitzt, sich außerhalb der Luftglocken frei bewegen. Mann: (bitter) Wenn er sich eine leisten kann, ja. Seine Freiheit reicht dann genauso weit wie der Inhalt seiner Sauerstoffbehälter. Und diese Freiheit ist von der Behörde genormt. Beamter: (kalt) Sehr richtig. Im übrigen hat jeder Zweifler die Freiheit, seinen Schutzhelm abzunehmen und die Atmosphäre auf ihren Giftgehalt zu prüfen. Sein Überle-ben wäre der Gegenbeweis. Mann: Falls es jemand wagen sollte. Das Abnehmen des Schutzhelms ist nach den Vorschriften der Ausgeherlanbnis verboten. Beamter: Eine Schutzmaßnahme. Mann: Wozu? Wozu überhaupt ein Verbot, wenn jedes Übertreten des Verbots den sicheren Selbstmord bedeutet? Oder ist die Behörde gar nicht so sicher? Beamter: Es ist ihre Pflicht, die Bürger vor Gefahren zu schützen. Notfalls durch Verbote. Mann: (sarkastisch) Ich weiß. Beamter: Sie bleiben also bei Ihrer Behauptung, einen Fisch gesehen zu haben? Ich wiederhole: einen Fisch im Jahre 2972? Mann: Ja. Und ich habe eben versucht, Ihnen eine mögliche Erklärung dafür zu geben. Aber Sie wollen offenbar nicht verstehen. Beamter: (kalt) Es geht hier nicht um Erklärungen, sondern um Tatsachen. Mann: (erregt) Der Fisch ist eine Tatsache! Beamter: Es könnte auch eine optische Täuschung gewesen sein. Sie sollten sich das nochmals überlegen. Mann: (heftig) Überlegen! Ich überlege schon die ganze Zeit! Und ich begreife es einfach nicht. Ich komme mit einer Entdeckung, einer sensationellen Entdeckung! Einer Entdeckung, die in ihren Auswirkungen für das künftige Leben der Menschheit überhaupt noch nicht zu überse-hen ist. Beamter: (trocken) Eben. Mann: Begreifen Sie denn nicht! Meine Entdeckung enthält eine ungeheure Hoffnung! Die Hoffnung, daß es auf die-ser Erde wieder ein natürliches Leben geben kann! Daß die Gefängnisse der künstlichen Luftglocke verschwin-den! Daß wir wieder freie Luft atmen in freier Natur. Beamter: Sie sind ein Phantast. Mann: Möglich. Möglich, daß erst unsere Kinder und Enkel das erleben. Aber der Anfang ist da! Und wo ein Fisch ist, da sind auch noch mehr. Und es werden noch mehr kommen. Aber heute schon gibt es wieder Wasser auf diesem Planeten, in dem Lebewesen existieren kön-nen. Das ist die Entdeckung! Beamter: (kalt) Es Ist Ihre Behauptung. Mann: (Pause, dann bitter) Und ich habe geglaubt, daß meine Entdeckung einen Freudentaumel auslösen würde. Daß man alles in Bewegung setzt, um die neuen Möglichkeiten auszuschöpfen. Statt dessen: nichts als Zweifel. Beamter: Wir zweifeln nicht, wir wissen. Mann: Sie wissen? - Was? Beamter: (kalt belehrend) Wir wissen, daß das Leben der Menschen noch nie so gut durchorganisiert und gesichert war wie heute. Es gibt weder Krankheiten noch Seuchen, weder Kriege noch Revolutionen, weder Mißernten noch Hungersnöte wie in der Vergangenheit. Die Isolierung in Luftglocken, die künstliche Ernährung, und das rationelle Verteilungssystem haben alle diese Probleme gelöst. Alle! Der heutige Mensch lebt problemlos. Und das heißt: glücklich. Mann: (bitter) Glücklich - ja! Glücklich unter einer Luft-glocke aus Kunststoff, kaserniert in vollklimatisierten Wohnzellen, künstlich ernährt und künstlich besamt, künstlich am Leben erhalten für ein Leben in der Retorte. Wirklich: eine glückliche Menschheit! Beamter: Sicher. Und da kommen Sie mit einem Fisch. (Pause) Oder haben Sie es sich inzwischen überlegt? Mann: Es gibt nichts zu überlegen. Beamter: (gleichmütig) Wie Sie wollen. (Pause) Einen Mo-ment bitte. (Knacken einiger Schaltknöpfe, die Computer verändern ihr Summgeräusch) Mann: (erregt) Wollen Sie den Computern die Beurteilung überlassen? Beamter: (gelassen) Nicht Beurteilung, sondern Urteil. Mann: (entsetzt) Nein! (Rattern der Ausgabeeinheiten der Computer, dann wie-der Summgeräusch wie vorher) Beamter: Aha. (ablesend) Kennziffer 11. Mann: Was bedeutet das? Beamter: Löschen. Mann: Was löschen? Beamter: Partielle Löschung des Gedächtnisses. Mann: Das heißt: den Fisch? Beamter: Selbstverständlich. Mit diesem Erinnerungsbal-last sind Sie für die Gesellschaft unseres Jahrhunderts eine Gefahr. Mann: (empört) Sie sind ja wahnsinnig! Ich verlange sofort Ihren Vorgesetzten zu sprechen! Beamter: Vorgesetzten? Es gibt keinen Vorgesetzten. Sie stehen vor der für Ihren Fall zuständigen Abteilung der Obersten Verwaltungsbehörde. Mann: Das sind Sie? Beamter: Nein. Das sind die Computer. Ich bin lediglich Koordinator. Mann: Aber Sie haben sie programmiert! Beamter: Nein. Sie selbst haben sie programmiert. Durch Ihre Aussagen. Mann: Das ist doch Wahnsinn! Was weiß denn ein Compu-ter vom natürlichen Leben? Aber Sie sind ein Mensch! Wenn Sie mein Gedächtnis löschen lassen, löschen Sie eine Hoffnung für die Menschheit! Beamter: Es wird eine Wahnidee gelöscht, nichts weiter. Mann: (mit neuer Hoffnung in der Stimme) Aber Sie haben mich überhaupt noch nicht gefragt, wo ich den Fisch ge-sehen habe. Das läßt sich doch alles nachprüfen. Beamter: Dazu besteht keine Notwendigkeit. Der Radius Ihres Schutzanzugs ist bekannt. Er erlaubt nur eine Bege-hung der Strandkilometer 326 bis 328. Mann: Dann lassen Sie auf diesen zwei Kilometern Postee aufstellen. Ich bin überzeugt, daß Sie den Fisch in kürze-ster Zeit entdecken. (Knacken eines Schalters) Beamter: Sehen Sie mal dort auf den Monitor, dort oben an der Wand. Mann: (überrascht) Ach, der Strand! Sie haben ja schon Posten aufstellen lassen. Beamter: Selbstverständlich. Mann: (aufatmend) Dann ist ja alles gut. Beamter: (zynisch) Sehr gut sogar. Die Posten werden den Fall dort draußen erledigen. Mann: (Pause, dann betroffen) Ich Idiot! Allmählich be-ginne ich zu begreifen, Sie wissen längst, daß es Fische gibt. Fische und wer weiß was noch für Tiere. Sie wissen, daß vermutlich längst eine Regeneration von Wasser und Luft stattgefunden hat. Aber niemand soll es erfahren. Alles soll bleiben, wie es ist: Die Luftglocke, die Wohnzel-len, die künstliche Ernährung, der ganze durch die Ober-ste Verwaltungsbehörde beherrschte Apparat. Sie wollen die Beibehaltung der absoluten Kontrolle. Ich ver-stehe. Beamter: (kalt) Sie haben verstanden. (Knacken einiger Schaltknöpfe, die Computer verändern ihr Summgeräusch) Mann: (erregt) Was haben Sie da geschaltet? Beamter: (kalt) Ihre letzten Aussagen verlangen eine Revi-sion des Urteils. Mann: (voll Hoffnung) Eine Revision? (Rattern der Ausgabeeinheiten der Computer, dann wie-der Summgerlusch wie vorher) Beamter: (ablesend) Revision von Kennziffer 11, Revisionsergebnis: Kennziffer 15. Mann: (unruhig) Was bedeutet das? (Klingelsignal, dann öffnen der Metalltür, derbe Schritte zweier Männer, die schnell herantreten) Beide Wärter: Guten Morgen. Beamter: (sachlich) Verfahren, nach Kennziffer 15. Geleiten Sie den Delinquenten. Beide Wärter: Wird ausgeführt. (Schritte) 1. Wärter: (jetzt näher) Bitte, mein Herr, folgen Sie uns! (Schritte von drei Personen, Tür fällt metallisch ins Schloß, mit dem Zufallen der Tür verstummt das Summgeräusch, Schritte. Jetzt lauter in einem hallenden Gang) Mann: (verängstigt) Was hat das zu bedeuten? (Eine Metalltür wird geöffnet, ein hell surrendes Geräusch ertönt) 1. Wärter: Bitte, treten Sie ein. Mann: (scharf) Nein! Erst will ich wissen, was das heißt: Kennziffer 15! 2. Wärter: (etwas verlegen) Vorzeitige Verwertung. Mann: (langsam wiederholend) Vor-zei-ti-ge Ver-wer-tung? (dann aufschreiend) Das ist Mord! (kurzes Handgemenge, Scharren von Füßen, dann Zu-schlagen der Tür, das sirrende Geräusch erlischt) 1. Wärter: (schwer atmend) Erledigt. Aber du hättest es ihm nicht sagen sollen; dann machen sie immer Schwie-rigkeiten. 2. Wärter: (gleichmütig) Stimmt. Ich werd' mir's merken.
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